Termin vereinbaren
Termin vereinbaren

Die gereizte Frau

Inhaltsverzeichnis

Die gereizte Frau

Miriam Stein interviewte mich für ihr neues Buch "die gereizte Frau", um zu verstehen, wie Erschöpfung und Wechseljahrsymptome, manchmal auch schon Ende dreißig, zusammenhängen.

Zyklus voller Ups and Downs: Tanz der Hormondrüsen und Alternativen zur Vosorge,ein Besuch bei der Heilpraktikerin Anja Scherret

Ich stehe in strahlendem Sonnenschein am denkmalgeschützten S-Bahnhof in Berlin Rahnsdorf. Anja winkt aus ihrem Kombi, wir treffen uns zum, ich betone es nochmal, explizit journalistischen Blind-Date. Sie öffnet die Beifahrertür und räumt Kinder-CDs vom Sitz. 2012 wurde Anja Mutter einer Tochter. Auf den ersten Blick verkörpert sie eher das Klischee einer typischen „Berliner Hipstermama“ im kurzen Jeansrock und Streifenshirt als das einer „Alternativmedizinierin“ in, beispielsweise, wallenden Kleidern. Wer weiß, was ich erwartet habe - Schubladendenken jeglicher Art sollte ich mir jedenfalls abgewöhnen. Die Zeiten, in denen alle Heilpraktikerinnen in asymmetrischen Lagenkleidern aus Hanf und alle Mamas in praktisch-abwaschbaren Schürzen rumliefen, sind Himmelseidank vorbei (gab es die jemals?).

In Anjas Garten blühen Stauden, der Rasen strahlt in sattem Grün, eine große Eiche spendet Schatten. Sie erzählt, dass die Stadt sie erschöpft hätte und dass sie hier wieder atmen, wieder eigene Wünsche artikulieren lernte. Seit zwei Jahren beschäftigt sich die 42-jährige schwerpunktmäßig mit Frauengesundheit und bioidentischen Hormonen. Sie arbeitet damit in ihrer eigenen erfolgreichen Praxis in Berlin Friedrichshagen und natürlich auch online. Grund für die Spezialisierung waren ihre eigenen Beschwerden: Erst nach der Geburt ihrer Tochter hat Anja zum ersten Mal richtig menstruiert. Davor hat sie, wie eigentlich fast alle Frauen meiner Generation, jahrelang die Pille genommen. Ihren Zyklus kannte sie überhaupt nicht.

„In der Heilpraktiker-Szene wird die Pille kritisch beäugt“, erzählt sie, „nur waren alternative Verhütungsmethoden mir nicht sicher genug. Ich hatte eine unerwünschte Schwangerschaft. Das wollte ich nie wieder in meinem Leben erleben. Der Abbruch war für mich so furchtbar – der ganze Prozess mit den Schuldgefühlen. Das ist auch noch ein Tabuthema. Es gibt so viele Tabuthemen bei uns Frauen, über die gesprochen werden müssen.“

Ein Gespräch über die Menopause „... beginnt passenderweise mit der Frage nach reproduktiver Selbstbestimmung“. Denn die Hoheit über den eigenen Körper liegt immer noch nicht bei den Frauen selbst, egal ob in Abtreibungsfragen, oder modernen Kinderwunsch-Praktiken wie künstliche Befruchtung oder Social Freezing, dem Einfrieren der Eizellen.

Nach Jahren mit der Pille meldete sich auch bei Anja Scherret die Perimenopause früher als erwartet: „Mit 39 habe mich in der Blüte gefühlt, im Zenit meines Lebens. Plötzlich habe ich dann Hitzewallungen bekommen. Ich dachte, ok, was ist jetzt los?! Ich steh im Leben, ich weiß, was ich bin, ich weiß, was ich kann. Aber ich bin noch nicht die Frau in den Wechseljahren, die sich zurückziehen soll. Nein! What the fuck?! Verdammt! Natürlich sind alle Zweifel eng daran gekoppelt, nicht mehr begehrenswert zu sein, nicht mehr die MILF zu sein, die ich ja eigentlich sein will. Sondern, nee, du bist jetzt langsam die strickende Oma mit der Sahnetorte!“

Anja erzählte weder ihrem Mann noch ihren Freundinnen von ihren Hitzewallungen. „Ganz ehrlich: Das auszusprechen, ich bin jetzt in Wechseljahren. Das war für mich... das wollte ich nicht wahrhaben.“

Stattdessen dachte Anja, indem sie sich so gut wie möglich mit dem Thema vertraut mache, könne sie ihr „Problem“ lösen. Ihre Freundinnen bekamen derweil zweite und dritte Kinder und „gebaren fröhlich fruchtbar durch die Gegend.“

Sie erlebte Stimmungsschwankungen, Hochgefühle und depressive Verstimmungen und fragte sich: Warum ist das so? Folglich fing sie an, sich mit Frauengesundheit, Hormonbalance und vor allem Perimenopause zu beschäftigen. Ich schildere ihr meine Symptome, vor allem die bleierne Müdigkeit.

„Du hast vermutlich neben Deinen Perimenopausal-Beschwerden einen Cortisol-Mangel“, erklärt sie mit fester Stimme. „Allerdings ist es total unseriös das hier zu diagnostizieren, ich müssten mir Deinen Hormonspiegel anschauen um genaueres zu sagen.“

„Cortisol? Ist das nicht ein Stresshormon?“ frage ich. 

„Genau. Cortisol wird in der Nebenniere hergestellt und ist da, um in Stresssituationen den Stoffwechsel so anzupassen, dass dem Körper alle wichtige Funktionen in mitunter lebensbedrohlichen Situationen zur Verfügung stehen. Früher musste der Mensch innerhalb weniger Sekunden entscheiden: Fight or Flight.“

„Was hat denn Cortisol mit dem Klimakterium zu tun?“

„Dafür müssen wir uns den Hormonaushalt anschauen. Achtung, jetzt kommt Biologie-Unterricht: Um unseren Zyklus aufrecht zu erhalten, brauchen wir diverse Hormone, vor allem Östrogen, Testosteron und Progestoron. Wenn wir von 28 Tagen pro Zyklus ausgehen, steigt der Estradiol-Spiegel vom 3. bis zum 11., 12. Tag an. Estradiol ist ein Östrogen und sorgt dafür, dass sich die Gebärmutterschleimhaut aufbaut. Gleichzeitig erhöhen sich zu Beginn des Zyklus auch andere Hormone: Serotonin macht glücklich, Oxytocin ausgeglichen. Testosteron gibt Energie, Fokus, Konzentration. Zwischen dem 11. Und 14. Tag löst das Hormon FSH den Eisprung aus, danach sinken diese Hormone etwas ab.“

„Okay...“

„Du musst dir eigentlich nur merken, dass in der ersten Hälfte Östrogene und Testosteron und in der zweiten Hälfte ein anderes, wichtiges Hormon ansteigt, nämlich das Progesteron. Es sorgt dafür, dass die Gebärmutterschleimhaut mit Nährstoffen versorgt wird, es baut das Nest für das Ei – wir legen Eier und bilden Follikel. Das ist nichts anderes als herkömmliche Eier, nur dass die Membran feiner und durchlässiger ist als bei Schalen aus Kalzium. Progesteron gibt uns auch ein Wellbeing-Gefühl.“

„Klingt alles gut. Wo ist der Harken?“

„Wenn Probleme auftreten, ist Progesteron das Hormon, das am schnellsten abschmiert. Dieser Haushalt steht in engem Zusammenhang mit den anderen großen Hormondrüsen, der Schilddrüse und der Nebenniere, wo eben Cortisol hergestellt wird. Es kommt zu einer Östrogen-Dominanz, was komisch klingt, denn eigentlich geht man doch davon aus, gerade in der Perimenopause immer zu wenig Östrogen zu haben. Das stimmt grundsätzlich auch, aber der Witz bei den Hormonen ist die Balance. Denn: Wenn ein Hormon abschmiert, wird es ausgeglichen – beispielsweise Progesteron durch Cortisol. Der Fight or Flight-Reflex kommt übrigens aus Nomadenzeiten. Unsere Urmütter und Väter brauchten Cortisol, um Gefahren wie Säbelzahntiger und Mamuts richtig einschätzen konnten. Nur: In der Steinzeit sind die Menschen nach einer Gefahrensituation wieder runtergekommen. Der Cortisol-Spiegel hat sich wieder normalisiert. Das ist der Unterschied zu heute.“

„Heute liegen wir nicht tagelang mit vollem Bauch im Lager und ruhen uns von der Jagd aus?“

„Nein, die meisten von uns leben im Dauerstress.“

„Okay, heißt das jetzt konkret, dass ich statt Perimenopause Burn-out habe, weil ich entweder zu viel oder zu wenig Cortisol produziere?“

„Naja, das kommt drauf an. Viele Frauen, laufen in ihren Dreißigern zu Höchstleistungen auf: Sie arbeiten an ihrer Karriere, fokussieren ihre Lebenssituation, einige haben kleine Kinder und damit eine Doppelbelastung – kurzum alle sind wahnsinnig gestresst. Das führt dazu, dass der Cortisol-Spiegel die ganze Zeit oben ist. Wenn sich diese Stressphase über einen langen Zeitraum zieht, ist die Cortisolproduktion irgendwann erschöpft. Der Körper stellt dann auf Notproduktion um. Das heißt zunächst: Prioritäten zu setzen. Was ist nicht lebensnotwendig, was kann ich entbehren?“

„Wie ein Schiff, das in Seenot gerät?“

„Genau. Der Körper fängt sofort an, Sachen loszulassen, die nicht essentiell wichtig sind für dich oder dich und dein Kind. Vielen Frauen fallen die Haare aus, das merkt man gar nicht unbedingt. Denn der Körper ist echt schlau: Der Stoffwechsel eines Menschen hat höchste Priorität. Geschlechtshormone hingegen sind nicht lebensnotwendig. Daher klaut sich die überlastete Nebenniere das Progesteron aus den Eierstöcken und der Schilddrüse, um den Cortisol-Mangel auszugleichen.“

„Entwickeln deswegen viele Frauen plötzlich Schilddrüsen-Probleme?“

„Genau. Dort bleibt nicht mehr so viel übrig. Die Folgen können ein schwaches Immunsystem oder eine Schilddrüsenunterfunktion sein oder es kommt eben zu Hormonmangel in den Eierstöcken, der wiederum zu Wechseljahrbeschwerden führen kann.“

Ich denke an Dr. Dolly Parton aus Steglitz.

„Ich war vor ein paar Tage bei einer Nuklearmedizinerin, um meine Schilddrüse überprüfen zu lassen – wegen der Dauererschöpfung. Sah erstmal alles ok aus, aber meinen Cortisol-Spiegel hat sie nicht überprüft.“

„Leider ist es immer noch so, dass diese Zusammenhänge in der Schulmedizin nicht hergestellt werden. Es wird als selbstverständlich hingenommen, dass eine Frau mit Anfang 40 zum Arzt geht, ein paar Symptome runterbetet: Müdigkeit, Gewichtszunahme, Schlafstörungen, etc. Die Diagnose lautet Schilddrüsen-Unterfunktion. Dann werden Hormone verschrieben. Das wird aber nie hinterfragt und es wird auch nie ein Zusammenhang zu Stress oder auch der Perimenopause hergestellt.“

Ich mache meine Hausaufgaben - Faktencheck: In der Schulmedizin heißt die Nebenniereninsuffizienz „Morbus Addison“. Symptome sind Hautverfärbungen, niedriger Blutdruck, Schwitzen, Erschöpfung, Reizbarkeit, Depression, Apathie, bei Frauen auch Verlust des Schamhaars, Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust. Die Diagnose erfolgt durch Untersuchung der Blutwerte, behandelt wird mit einer Hormonersatztherapie mit verschiedenen Cortison-Gaben.

Doch die „Nebennieren-Erschöpfung“ oder den stressbedingten Cortisol-Mangel, von dem Anja spricht, gibt es laut Schulmedizin nicht. Tatsächlich wird vor dieser Diagnose sogar gewarnt, es sei eine „Modediagnose“, der „mit kostspieligen Behandlungen entgegengewirkt werde und seriöse Diagnosen wie „Morbus Addision“ verschleiert würden. In diversen neuen Büchern zur Menopause hingegen kommt das Phänomen ebenfalls vor. Die britische Heilpraktikerin Maisie Hill schreibt in „Superpower für die Wechseljahre“ von Nebennieren-Erschöpfung, Menopausen-Beraterin Ellen Cornely-Peeters wird in ihrem Buch „Ach Meno“ (2021) sehr deutlich : „In Stresszeiten benötigen wir jede Menge Stresshormone, wie zum Beispiel Cortisol. Um den Bedarf zu decken werden unsere Progesteron-Quellen angezapft – was zu einem starken Ungleichgewicht im Hormonsystem führt und ein erhebliches Chaos anrichten kann“.

Anja Scherret erzählt, dass im Zusammenhang von Erschöpfung, Cortisol und Perimenopause einfach noch keine Studien durchgeführt wurden, deswegen verweigert die Schuldmedizin diese Diagnose. Sie sagt:

„Für die Schulmedizin existiert nur, was in Studien nachgewiesen ist. Was aber, wenn noch keine Studien durchgeführt wurden? Natürlich hängen die Hormonproduktionen zusammen. Vermutlich liegt bei dir ein Cortisol- und Progesteronmangel vor, der dazu führt, dass alle anderen Hormone in den Keller gehen. Der Anfang der Perimenopause hat häufig mit Stress zu tun, nachdem der Körper es jahrelang geschafft hat, den Stress zu kompensieren.“

„Das heißt: ich gehe von stressbedingten Hormonstörungen in meinen Dreißigern direkt in perimenopausal bedingte Hormonstörungen in meinen Vierzigern?!“ frage ich.

„Genau. Perimenopause ist nichts anderes als ein Hormonmangel. Damit kann man sich auf mikrobiologischer Ebene auseinandersetzen oder auch auf philosophischer. Beide Ebenen sind wichtig.“

„Verstärkt Stress denn die Perimenopause noch?“

„Sagen wir mal so: Ich hatte Mörderstress mit meinem Kind. Sie war ein Schreikind. Ich hatte eine Erschöpfungsdepression, ich war nur noch krank und hatte viel Druck, den ich mir selbst gemacht habe. All die Ansprüche und Vorstellungen, denen wir gerecht werden möchten. Dabei habe ich überhaupt nicht gespürt, wie gestresst ich eigentlich bin. Und das geht, glaube ich, ganz vielen Menschen so. Hormone sorgen lustigerweise dafür, dass wir uns ganz gut fühlen. Adrenalin wird auch in der Nebenniere gebildet und sorgt dafür, dass wir uns wach und konzentriert fühlen, dass wir einen Anreiz spüren jede Challenge zu meistern. Adrenalin kickt uns. Es sorgt dafür, dass Zucker im Blut ist.“

Eigentlich fühle ich mich nicht gestresst. Nach Anjas Worten gehe ich in mich: Natürlich ist mein Anspruch an mich groß. In den letzten zehn Jahren habe ich Vollzeit gearbeitet, zwei Bücher geschrieben und zusammen mit meinem Mann unseren Sohn großgezogen. Als Paar haben mein Mann und ich außerdem unsere Finanzen sortiert, eine massive Beziehungskrise durchlebt und sind einmal als Familie umgezogen. Vielleicht war insgesamt ein ganzes Jahr arbeitsbedingt ziemlich stressig. Aber in den vergangenen Monaten, in denen ich mich von meinem Körper so durchgeschüttelt gefühlt habe, kann ich mich eigentlich nicht an explizite Stress-Situationen erinnern. Blende ich die womöglich aus?

Tatsächlich fragten alle Ärzt*innen, die ich wegen meiner Müdigkeit und den Schlafproblemen aufgesucht habe, ob ich Stress habe. Diese Frage fand ich ein bisschen ärgerlich, weil ich mich nicht ernst genommen gefühlt habe. „Stress“ hielt ich für eine „faule Diagnose“: Arbeitende Mutter im mittleren Alter kommt mit ihrem Alltag nicht klar und kriegt Schlafprobleme. Ich komme klar. Ich bin gut organisiert. Ich kann leisten, wie ein Mann auch, ich brauche keine Extrawurst, oder?

„Weil wir die ganze Zeit auf High Level powern, merken wir den Stress erst, wenn wir runterkommen“, erzählt Anja weiter.

„Was kann man tun?“ frage ich.

Anja lächelt und schweigt. Dann: „Relax, Baby. Nimm den Druck raus“, erklärt sie und lehnt sich zurück. Sie helfe ihren Patientinnen zu entspannen, mit Hilfe von Meditation oder Waldspaziergängen. Oder eben der Gabe von bioidentischen Hormonen. Als bioidentisch werden Hormone bezeichnet, die in ihrer Molekularstruktur exakt denen gleichen, die der weibliche Körper produziert. Diese Hormone werden daher „körperidentisch“ genannt. Bioidentische Hormone werden aus Pflanzen gewonnen, aus Yamswurzel oder Soja. Bei den sogenannten „synthetischen Hormonen“, die in der klassischen Hormontherapie verschrieben werden, weicht die chemische Struktur von der der eigenen Hormone ab.

„Du kannst diese Maschine Körper immer wieder reparieren und immer wieder dran schrauben, aber wenn du nicht auch am Mindset arbeitest, dann wird der Zustand nicht besser. Man sollte sich immer wieder fragen: Wieso bin ich so gefangen, wie wenig achte ich auf meine Bedürfnisse?“

„Die ewige Frage – die eigenen Bedürfnisse, die Zweifel.“

„In der Perimenopause hinterfragt man sich selbst: Wo liegt das Beschwerdepotential und wann wird das zum Problem, also wann entwickelt man einen Leidensdruck. Oder klarer: Wann ist etwas überhaupt behandlungsbedürftig?“

„Zum Beispiel: Ab wann beeinflusst meine Erschöpfung meinen Alltag so stark, dass ich mich nicht mehr wohl fühle?“

„Genau. Es ist wichtig, jetzt einen Realitätscheck zu machen. Das machst Du ja nicht, wenn es dir gut geht. Es ist auch eine Phase, in der uns Drama überrollt.“

„Was für Dramen meinst du? Eher „Shakespeare“ oder „Grey’s Anatomy“?“

„Ich spreche hier in extremen Bildern, um das ein bisschen zu verdeutlichen, vermutlich eine Mischung aus beidem, den ganz großen, existentiellen Dramen, aber auch den alltäglichen. Man fängt an sich zu fragen: Habe ich den richtigen Beruf? Kann ich überhaupt was? Bin ich was? Bin ich irgendwie wertvoll? Das sind typische, weibliche Themen, die immer wieder auftauchen, sowohl in meiner Praxis als auch bei mir selbst.“

„Hast Du für dich selbst Antworten gefunden?“

„Nein. Ich merke immer wieder, dass man sie ständig neu beantworten muss. Fakt ist doch: Die Frage mit dem Selbstwert lässt sich nicht ein für alle Mal klären – das halte ich für ein Riesenmissverständnis. Genau das spiegelt sich im weiblichen Zyklus wieder: Dass Dinge immer wiederkommen und immer wieder vorbeiziehen.“

„Kann man denn gar nichts sonst machen? Muss man die Natur der Dinge passiv ertragen?“

„Nein. Man kann ganz pragmatisch etwas tun, mit Ernährung zum Beispiel. Bei einer Ernährungsberatung überprüfe ich Essgewohnheiten von Patientinnen und stelle fest, dass Frauen häufig zu wenig Proteine zu sich nehmen. Hormone werden aus Protein gewonnen. Aber auf richtige Ernährungsverbote würde ich verzichten, die gehen nach hinten los, weil sie Druck an einer anderen Stelle aufbauen. Das löst dann wieder Stress aus.“

„Dann steckt man schnell wieder im Diäten-Wahn.“

 „Frauen erzählen mir immer die gleiche Geschichte: Drei Wochen lang war ich total diszipliniert. Danach bin ich in meine PMS-Phase gekommen und habe versagt. Dann hocken meine Patientinnen mit Chipstüte und Schokolade zuhause, weinen, trösten sich mit Junkfood und hassen sich dafür. Das kenn ich! Ich finde es genau deswegen wichtig, auch diese Momente zu feiern: Dass es einem scheiße geht.“

„Wie feiert man, dass es einem Scheiße geht?“

„Indem man loslässt, die Kontrolle abgibt. Das haben wir verlernt. Durch Menstruation und Menopause signalisiert dein Körper dir genau das: Hey, lass los, gib die Kontrolle ab. Dadurch werden auch die starken Körpersymptome auslöst. Teilweise war es für mich sogar schwer mich zu bewegen. Mein Körper hat mich gezwungen, mich hinzulegen und loszulassen. Unsere Vorstellungen davon, wie die Sachen zu sein haben –die Arbeit, man selbst, der Haushalt, das Kind - werden auf den Prüfstand gestellt. Wenn einem die ganze Familie auf den Keks geht, ist es so wichtig, das Bild von einem selbst als immer liebende Mutter gehen zu lassen. Das ist auch Quatsch. Gönn Dir ne Pause! In der Perimenopause zwingt der Körper einen langsamer zu machen. Das ist auch eine Chance.“

Das finde ich eine schöne Vorstellung: Das Klimakterium als wirkliche „Pause“, nicht im altgriechischen Sinne pausis als „Ende“ zu denken. Eine Pause könnte ich durchaus gebrauchen, denke ich als mir auf dem Weg nach Hause in der S-Bahn wieder die Augenlider schwer werden. Natürlich kann ich mir keine zehnjährige Auszeit gönnen, das wäre vermutlich auch nicht hilfreich. Vielmehr werde ich versuchen in den Phasen, in denen mein Körper besonders erschöpft wird, einen oder drei Gänge herunterzuschalten.

Inhaltsverzeichnis

Zurück